Zu Folge 1: Die Entführung eines Knaben
Mit der Taufe tritt der Täufling in die Gemeinschaft der Gläubigen ein – egal, um welche der beiden größten christlichen Konfessionen es sich handelt. In unserem Fall wird der kleine Herm Henrich vom katholischen Pfarrer getauft, obwohl seine Familie mütterlicherseits evangelisch und sein evangelischer Großvater einer der Taufpaten ist. Ist er damit katholisch oder evangelisch? Nun, der Knabe wird ein Katholik. Dazu schauen wir uns einmal die Regelungen innerhalb des „Simultaneum mixtum“ an, die die Spende der Sakramente und kirchlichen Amtshandlungen betreffen:
„Sakramente und Amtshandlungen waren nach Herrschaft getrennt geregelt. Die Taufen, Wöchnerinneneinführungen und Trauungen der münsterischen Eingesessenen wurden vom katholischen Pfarrer zu Goldenstedt vorgenommen, die der lüneburgischen [hannoverschen] Eingesessenen von den Pfarrern der Diepholzer Kirchen Colnrade und Barnstorf. Dabei spielte es keine Rolle, ob es unter den münsterischen Eingesessenen lutherische oder unter den lüneburgischen [hannoverschen] katholische Einwohner gab. Die Beisetzungen wurden ausnahmslos vom Goldenstedter Pfarrer vorgenommen. Das Abendmahl nahmen die lutherischen Eingesessenen in Barnstorf und Colnrade ein.“ (Unger, Die Kontroverse, S. 151)
Herm Henrich wird also vom katholischen Pfarrer zum Katholiken getauft, obwohl seine lutherische Mutter aus Diepholz und damit aus dem Kurfürstentum Hannover stammt – was dann auch zum Auslöser der Eskalation werden soll.
Noch einmal ganz kurz zur damaligen politischen und konfessionellen Situation, damit die Bezeichnungen „münsterisch“ und „lüneburgisch“ deutlich wird: Die Grafschaft Diepholz war Teil des Kurfürstentums Hannover, das eigentlich offiziell Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg hieß. Es stand damit unter protestantischer Landesherrschaft. Das Niederstift Münster bildete den nördlichen Teil des Fürstbistums Münster, eines geistlichen Territoriums, das dementsprechend katholisch war. Goldenstedt selber lag auf dem Gebiet des Niederstifts, von den 15 Meyerhöfen des Kirchspiels waren jedoch 11 „lüneburgische“ Untertanen und damit protestantisch – und der Großvater des Täuflings war der für diese zuständige protestantische Verwaltungsbeamte, dessen Dienstvorgesetzte in Diepholz saßen.
Alles klar? (Wir lieben die Frühe Neuzeit!!)
Aber wie sieht nun solch ein Eintrag im Taufregister aus? Damit ihr euch selber ein Bild davon machen könnt, haben wir den Eintrag transkribiert, also in unsere heutige Schrift übertragen und mit der freundlichen Hilfe von Georg Müller, Dozent für Alte Geschichte an der Uni Vechta, übersetzt. Wer gerne das Original einmal ansehen möchte, kann dies hier tun. Der Eintrag befindet sich auf der rechten Seite ganz unten. Dort steht:
1. linke Spalte: Parentes (Eltern)
Herm Henrich Freudenberg Cathol. Margaret Maria Feder Luth. Soluti: quamquam praedictus locum Patris tenere nollet, eo quod partus per aliquot hebdomadas ultra tempus consuetum esset protractus.
Übersetzung: Herm Henrich Freudenberg, Cathol., Margaret Maria Feder, Luth., unverheiratet: [werden als Eltern eingetragen], obwohl der Vorgenannte die Stelle des Vaters nicht einnehmen wollte, dadurch dass die Geburt einige Wochen über den eigentlichen Zeitpunkt hinaus verzögert worden ist
2. mittlere Spalte: Proles (Nachkomme, Kind)
Herm Henrich in goldenstett Münst. eo quod Mater in Domo Mensi [?] pepererit, quae coeteroquin origine est Diepholz
Übersetzung: Herm Henrich [geboren in] Goldenstedt im Münsterschen, dadurch, dass die Mutter, die im Übrigen aus Diepholz stammt, im Hause von ## geboren hat
3. rechte Spalte Patrini (Taufpaten)
Johan Henrich Feder luther. [Vater der Kindsmutter], Anna Maria Uxor Witgen nata Freudenberg cathol. [Anna Maria, Frau von Witgen, geborene Freudenberg eine Verwandte des Kindsvaters]
Aus: Taufmatrikel der Gemeinde St. Gorgonius, Goldenstedt, Band 1 vom 01.01.1753-31.12.1800, S. 80 (in der Onlineversion Abbildung 45).
Hallo Herr Aufgebauer und alle Beteiligten des Podcast
Er hat wieder richtig Spaß gemacht, der Podcast mit den wohlverwahrten Beinkleidern. Noch etwas Pikantes am Rande bezüglich unehelicher Kinder: Maire Schmedes wurde am 14.02.1812 in Goldenstedt Vater eines unehelichen Sohnes und die Schwester von Bernard Twenhövel gebar 5 uneheliche Kinder. Das zum Thema Ausgangsverbot für junge Leute.
Vielen Dank für die interessanten Infos
M.Schröer
Vielen Dank, Frau Schöer! Das zeigt doch mal wieder: Die „gute“ alte Zeit, in der die Welt in Ordnung und die Menschen alle ehrbar waren, ist und bleibt eine Illusion. Gerade beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema der unehelichen Kinder und bin erstaunt, wie alltäglich dieses (ich sage: Massen-)Phänomen war. Insofern eine sehr wichtige Folge, denn sie zeigt, dass die jungen Leute früher derselbe Hafer stach wie unsereins – nur war es für Twenhövels & Co ungleich schwieriger, die Folgen so zu kontrollieren, wie es für junge Menschen heute möglich ist. Und: Heute ist das alles nicht mehr kriminalisiert. Zum Glück.